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Fische und der Traum vom Fliegen

Sie gleiten durch die Luft wie Vögel und tauchen wie Pfeile zurück ins Meer: Fliegende Fische sind ein evolutionäres Kuriosum - elegant, schnell und rätselhaft. Ihre einzigartige Fähigkeit zu „fliegen“ ist nicht nur ein Überlebensinstinkt, sondern ein Paradebeispiel für die Kreativität der Natur.

Im warmen Licht des tropischen Morgens ist das Meer spiegelglatt. Plötzlich durchbricht ein silbriger Körper die Wasseroberfläche – gefolgt von einem Dutzend weiterer. Für einen Moment scheinen sie zu schweben: mit weit gespreizten Brustflossen gleiten die Tiere in eleganter Formation durch die Luft. Ein Windstoß hebt sie höher, dann fallen sie, balancieren über die Wellenkämme und tauchen wieder ab. Was wie aus einem Trickfilm wirkt, ist in Wirklichkeit eine faszinierende Idee der Evolution: Exocoetidae – die fliegenden Fische.

Sie leben in den warmen und gemäßigten Ozeanen unserer Erde, vor allem im Atlantik, Pazifik und im Indischen Ozean. Und ihr Name ist Programm: Bis zu 400 Meter weit können manche Arten über die Wasseroberfläche gleiten, teilweise sogar über 40 Sekunden. Der längste dokumentierte Flug eines fliegenden Fisches betrug 45 Sekunden – ein Rekord, gemessen 2008 vor der Küste Japans.

Doch was auf den ersten Blick wie ein Wunder der Natur erscheint, ist Ergebnis millionenjahrelanger Anpassung. Die Fähigkeit zu fliegen, oder besser zu gleiten, entwickelte sich nicht zum Vergnügen, sondern aus purer Notwendigkeit: als Flucht vor Jägern wie Thunfischen, Makrelen oder Delfinen. Und so wurde aus dem Fisch ein Luftakrobat – ein Tier, das die Gesetze von gleich zwei Elementen herausfordert.

Anatomie eines Luftsprungs

Was braucht ein Fisch, um fliegen zu können? Keine Flügel im eigentlichen Sinn, sondern eine perfekte Kombination aus Geschwindigkeit, Auftrieb und Leichtbau. Fliegende Fische nutzen ihre kräftige Schwanzflosse, um sich mit bis zu 60 km/h durch das Wasser zu beschleunigen und das in einem nahezu vertikalen Winkel. Kurz vor der Oberfläche kippen sie den Körper, richten ihre überdimensionierten Brustflossen auf und „segeln“ mit Hilfe der aufsteigenden Luftströmungen über das Wasser.

Manche Arten, sogenannte „Vierflügler“, verfügen zusätzlich über ein Paar verlängerter Bauchflossen, die wie ein zweites Flügelpaar funktionieren. Das erlaubt ihnen nicht nur eine größere Stabilität, sondern auch Richtungswechsel in der Luft. Neuere Hochgeschwindigkeitsaufnahmen zeigen sogar, dass fliegende Fische während des Gleitens mehrfach mit der Schwanzflosse das Wasser berühren, um neue Schubkraft zu gewinnen – ein evolutionärer Trick, der sonst nur bei Insekten bekannt ist.

Ihre Leichtbauweise ist ein weiteres Schlüsselelement. Fliegende Fische besitzen einen schlanken, stromlinienförmigen Körper und besonders leichte Knochen. Ihre Schwimmblase dient als eine Art Auftriebskammer, die ihnen zusätzlich hilft, den kurzen Flug zu verlängern. All das macht sie nicht zu echten Fliegern wie Vögel oder Fledermäuse, wohl aber zu Meistern des kontrollierten Gleitens.

Ihre Flugfähigkeit ist dabei nicht nur physikalisch bemerkenswert, sondern auch ein evolutionärer Kompromiss: Wer fliegt, kann Jägern entkommen, ist in der Luft jedoch auch selbst angreifbar, etwa durch Seevögel wie Tölpel oder Fregattvögel. Die Luft bietet also Schutz und Risiko zugleich.

Gleitflug ins Ungewisse

Die fliegenden Fische gehören zu den großen Überlebenskünstlern der Meere und dennoch sind auch sie nicht immun gegen die Veränderungen des Planeten. Steigende Meerestemperaturen, Überfischung und Plastikmüll verändern die Nahrungsnetze der Ozeane und beeinflussen auch ihre Lebensräume. Besonders betroffen ist der Epipelagialbereich, die oberste Schicht des offenen Ozeans, in der sie jagen, gleiten und laichen.

Einige Arten zeigen bereits jetzt ein verändertes Verhalten: Ihre Gleitflüge scheinen kürzer, ihre Sprungraten steigen, möglicherweise als Reaktion auf gestiegene Bedrohungen durch Raubfische oder Lärmverschmutzung im Ozean. Wie bei vielen Meerestieren sind Langzeitdaten rar, doch Forschungsinitiativen wie das „Global Ocean Observing System“ liefern zunehmend Erkenntnisse über ihre Wanderungen und das Zusammenspiel mit sich verändernden Ökosystemen.

Trotz aller Herausforderungen bleibt die Botschaft dieser Tiere erstaunlich hoffnungsvoll: Die Fähigkeit, sich anzupassen, physisch wie verhaltensbiologisch, macht sie zu Symbolen der Widerstandskraft. Ihre lautlosen Flüge erzählen von einer Natur, die keine festen Grenzen kennt: zwischen Wasser und Luft, zwischen Instinkt und Intelligenz.

Und so bleibt das Bild des fliegenden Fisches auch ein Sinnbild für etwas Größeres: Für den Einfallsreichtum und die Kreativität des Lebens, welches selbst unter Druck immer neue Wege findet. Vielleicht ist es genau dieser Moment des Abhebens, der uns zeigen kann, dass auch in Zeiten ökologischer Krisen neue Horizonte möglich sind – wenn wir sie erkennen.

Tom Schrage
Tom Schrage

Tom Schrage ist The Art of Earth Storyteller

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