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Tief unter den Gletschern Islands verbergen sich Eishöhlen von flüchtiger Schönheit. Eine Reise ins Herz des Eises offenbart, wie eng Wissenschaft, Natur und Zeit miteinander verwoben sind.
Wenn der Winter über Island hereinbricht und die Landschaft in eisiges Schweigen taucht, beginnt tief unter dem Eis ein Schauspiel, das wie aus einer anderen Welt wirkt. An den Rändern aktiver Gletscher bilden sich für wenige Monate einzigartige Eishöhlen – transparente, tiefblaue Tunnel und Hallen, geformt vom Schmelzwasser des Vorjahres, eingefroren in kristalliner Stille.
Die bekanntesten Höhlen finden sich im Vatnajökull, Europas größtem Gletscher. Hier, unter einer bis zu 900 Meter dicken Eisschicht, verborgen im Inneren eines jahrtausendealten Giganten, offenbaren sich Strukturen, die an gotische Kathedralen erinnern. Säulen aus Eis, glasklare Wände, gewölbte Decken, durchzogen von Luftblasen und vulkanischen Ascheschichten – eingefrorene Zeitdokumente, die das Licht in schillernde Farbspiele brechen.
Doch diese Schönheit ist flüchtig. Jede Höhle ist eine einmalige Erscheinung: Sie schmilzt, stürzt ein, verändert sich. Spätestens im Frühjahr ist sie verschwunden. Man weiß nie, was man in einer Eishöhle vorfindet und auch nicht, ob sie am nächsten Morgen noch dieselbe ist oder ihre Form über Nacht geändert hat.
Eishöhlen sind nicht nur spektakuläre Naturphänomene, sie sind auch Archive des Klimas. Das Eis im Vatnajökull stammt aus Jahrhunderten, jede Schicht erzählt von Niederschlägen, Temperaturen und Ascheeruptionen. Forscher entnehmen hier Eiskerne, analysieren eingeschlossene Luftbläschen und dokumentieren so die Spuren vergangener Umweltbedingungen. So lässt sich etwa nachvollziehen, wie sich der Gletscher bei früheren Klimaereignissen verändert hat, aber auch wie sensibel er auf aktuelle Veränderungen reagiert.
Doch der Klimawandel beschleunigt diesen Prozess: In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Vatnajökull bereits etwa 15 % seiner Masse verloren. Die wärmer werdenden Sommer schmelzen mehr Eis als im Winter nachgebildet wird. Das verändert nicht nur das Volumen des Gletschers, sondern auch die Entstehung und Stabilität der Eishöhlen. Einige der spektakulärsten Strukturen sind heute bereits Vergangenheit. Andere entstehen an ganz neuen Stellen – flüchtiger, instabiler.
Gleichzeitig boomen Eishöhlentouren im Wintertourismus. Jährlich reisen tausende Besucher in die Gletscherregionen, begleitet von zertifizierten Guides, ausgerüstet mit Steigeisen und Helmen. Die Touren sind streng reguliert, doch sie stellen dennoch ein Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Erlebnis dar. Eine Gratwanderung zwischen Sensibilisierung für die Fragilität eines Systems und der Beschleunigung des Schmelzens durch den Einfluss der Besucher:innnen.
Mitten in einer Eishöhle, umgeben von meterdicken Eisschichten.
Foto von Tom Schrage
Trotz aller Bedrohungen bergen Islands Eishöhlen auch Hoffnung: als natürliche Labore, als Weckruf in Zeiten globaler Erwärmung, als Chance für bewussten Naturtourismus. Neue Forschungsprojekte wie IceWatch oder CryoLab verknüpfen Satellitendaten, Drohnenaufnahmen und bodengestützte Messungen, um das Verhalten von Gletschern präziser denn je zu analysieren. Dabei dienen die Eishöhlen nicht nur als Zugangspunkte, sondern auch als direkte Sensoren: Temperatur, CO₂-Gehalt, Lichtverhalten – alles wird aufgezeichnet.
Parallel entstehen Bildungsinitiativen, die Tourismus mit Umweltbewusstsein verbinden. Interaktive Besucherzentren, Workshops vor Ort und digitale Dokumentationen tragen dazu bei, das Naturerlebnis in ein Verständnis für globale Zusammenhänge zu überführen. Denn wer einmal im Inneren einer Eishöhle gestanden hat, weiß um die Verletzlichkeit dieser Wunder.
Am Ende bleibt vor allem eines: Demut. Die isländischen Eishöhlen zeigen eindrucksvoll, wie Kunstwerke der Natur entstehen – und vergehen. Wie sich das Licht in gefrorenem Wasser spiegelt. Und wie eng unsere Zukunft mit dem Eis verbunden ist.