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Wie unterirdische Pilzgeflechte Wälder verbinden, Bäume miteinander kommunizieren lassen - und warum dieses System für das Überleben unserer Ökosysteme entscheidend ist.
Es beginnt mit einem Wurzelhaar, kaum dicker als ein menschliches, irgendwo im feuchten Waldboden eines mitteleuropäischen Buchenwaldes. Was oberirdisch still und reglos wirkt, ist unter der Oberfläche in ständiger Bewegung. Pilzhyphen, winzige fadenförmige Zellen, durchdringen das Erdreich, umschlingen Wurzeln und verbinden sich mit Hunderten weiterer Pflanzen. Entlang dieser unsichtbaren Leitungen fließen Zucker, Mineralstoffe, Wasser – und Informationen. Wissenschaftler nennen dieses Netzwerk das Wood Wide Web, eine Wortschöpfung in Anlehnung an das Internet.
Lange Zeit galt der Wald als Arena stiller Konkurrenz. Doch Forschungen der letzten zwei Jahrzehnte zeichnen ein anderes Bild: Ein komplexes System gegenseitiger Hilfe und Kommunikation. Insbesondere die kanadische Forstökologin Suzanne Simard konnte nachweisen, dass über Mykorrhiza, also die Symbiose zwischen Pilzen und Pflanzen, ein Austausch zwischen Bäumen erfolgt. Dabei agieren bestimmte Pilzarten als Vermittler, ähnlich wie Router im Internet. Sie verknüpfen Bäume über teilweise kilometerlange Netzwerke aus Hyphen und schaffen eine unterirdische Infrastruktur, die ökologische Systeme stabilisiert. Es ist ein Bewusstsein des Waldes – kein individuelles, aber ein kollektives.
Die Mykorrhiza (altgriechisch „mykes“ (Pilz) und „rhiza“ (Wurzel)) existiert bereits seit vielen Millionen Jahren. Sie war vermutlich entscheidend für die Eroberung des Festlands durch die ersten Pflanzen. Heute leben schätzungsweise 90 Prozent aller Landpflanzen in dieser Symbiose. Die Pilze liefern Wasser und Mineralstoffe wie Phosphor und Stickstoff, im Gegenzug erhalten sie von den Pflanzen Zuckerverbindungen aus der Photosynthese. Doch dieser Austausch ist kein simpler Handel – er ist dynamisch, fein austariert und erstaunlich selektiv.
In Experimenten zeigten Forschende, dass Pflanzen gezielt mehr Ressourcen an „verwandte“ oder geschwächte Individuen weitergeben. Wenn eine Fichte von Schädlingen befallen wird, sendet sie über das Pilznetzwerk Warnstoffe an benachbarte Bäume, die daraufhin ihre Abwehrmechanismen hochfahren. Auch zwischen verschiedenen Arten wie Birke und Douglasie findet ein Austausch statt, besonders in Mischwäldern. In Zeiten von Dürre oder Nährstoffmangel profitieren die schwächeren Bäume vom Netzwerk der Starken – ein System ökologischer Resilienz.
Und die Pilze selbst? Sie sind nicht bloß passive Knotenpunkte. Neuere Studien zeigen, dass sie „entscheiden“ können, wie viel Nährstoff sie an welche Pflanze abgeben, abhängig davon, wie „kooperativ“ sich diese verhält. Ein Geben und Nehmen, gesteuert durch biochemische Signale, das in seiner Feinheit noch längst nicht vollständig entschlüsselt ist.
Das Wissen um das Wood Wide Web verändert die Forstwirtschaft, den Naturschutz und die Art, wie wir Natur betrachten. In Kanada, Großbritannien und Deutschland beginnen Förster, das unterirdische Netzwerk aktiv zu schützen. Kahlschläge und schwere Maschinen können Mykorrhiza-Systeme zerstören – mit langfristigen Folgen für die Vitalität des Waldes. Einige Forstbetriebe setzen mittlerweile auf eine sogenannte „sanfte Durchforstung“, die Rücksicht auf die Netzwerke nimmt und gezielt Mischwälder fördert.
Gleichzeitig inspiriert das Mykorrhiza-Netzwerk Forscher:innen in Bereichen jenseits der Biologie. Netzwerktheoretiker:innen analysieren die Struktur der Pilzverbindungen, um neue Kommunikationssysteme oder nachhaltige Städteplanung zu entwickeln. Auch in der Klimaforschung rücken Pilze stärker in den Fokus, denn Mykorrhiza beeinflusst die Kohlenstoffbindung im Boden – ein unterschätzter Faktor im globalen Klimasystem.
In einer Welt, in der ökologische Krisen zunehmen, ist das Wood Wide Web ein stiller Hoffnungsträger: Ein Beweis dafür, dass Kooperation tief in der Natur verwurzelt ist – im wahrsten Sinne des Wortes.